Der Einzelhandel hört es nicht gerne. Aber Amazon und Konsorten haben den Online-Handel revolutioniert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 haben 91% aller Deutschen schon mehrfach bei Amazon.de eingekauft. Lediglich 3% gaben an, bisher noch nicht dort gekauft zu haben, und gerade einmal 1% sagte, ein Kauf über diese Plattform käme für sie grundsätzlich nicht in Frage.
Haben Sie schon mal bei Amazon.de eingekauft?
Zahlen, die dem Einzelhandel weh tun und leere Straßen und Einkaufspassagen in den Städten nach sich ziehen. Initiativen mussten also her, um wieder konkurrenzfähig zu werden. Und hier hat sich nach und nach das sogenannte „Local Commerce“ etabliert.
In unserem heutigen Blogartikel wollen wir diesem Trend dabei genauer nachgehen. Nicht nur erklären wir Dir, was sich eigentlich dahinter verbirgt, sondern wir befassen uns außerdem auch gleich mit einer Art Wasserstandsmeldung zur bisherigen Akzeptanz von Local Commerce. Denn ein Vorwurf, den man dieser Tage sehr oft hört, lautet, dass hier viel Lärm um nichts betrieben wird.
Local Commerce – was sich dahinter überhaupt verbirgt
In Abgrenzung zum E-Commerce, also dem elektronischen Handel, verbreitet sich in der letzten Zeit rasant der Gegenentwurf „Local Commerce“, also der lokale Handel. Ziel dahinter ist es, eine Art digitales Schaufenster zu kreieren, um den Einzelhandel vor Ort kompakt ins Internet zu bringen. Gebildet hat sich hieraus die „Local Commerce Alliance“, die im Mai 2017 ein sogenanntes „Local Commerce Manifest“ mit 14 Thesen zur digitalen Transformation in Stadt und Handel herausgebracht hat.
„Innenstädte sind nicht nur volle Warenlager, sondern soziale Kraftwerke“, heißt es dort unter anderem. Oder auch: „Local Commerce schafft attraktive neue Berufsbilder im lokalen Gewerbe und Einzelhandel.“ Die Realität gestaltet sich jedoch bisher ernüchternd.
Denn: obwohl die Anzahl an lokalen Marktplätzen, die vom einfachen Schaufenster-Charakter bis hin zu voll funktionsfähigen Online-Shops reichen, kontinuierlich steigt, bleibt der Erfolg bislang aus.
Wieso Local Commerce bisher nicht in Gang gekommen ist
Obschon die Grundidee dahinter sicherlich sehr gut ist, zeigt eine interessante Studie, die BWL-Dozent Andreas Hesse durchgeführt hat, ernüchternde Ergebnisse. Von bundesweit insgesamt 208 befragten Gewerbetreibenden aus dem Einzelhandel, die in Local Commerce Marktplätzen repräsentiert werden, gaben ca. 60% an, weder mehr Kunden im Geschäft gehabt zu haben noch eine Steigerung im Umsatz erlebt zu haben.
Selbst Funktionen wie der Online-Einkauf und die Online-Zahlung bei der Möglichkeit, die Ware noch am gleichen Tag im Geschäft abholen zu können, oder die Möglichkeit, in der Filiale kostenfreie Retouren zu tätigen, oder Initiativen wie „Click and collect“ blieben laut insgesamt 70% aller Befragten nahezu gänzlich ungenutzt. Punkte, mit denen sich der lokale Handel gegenüber Amazon und Co positionieren wollte und wo man sogar echte Alleinstellungsmerkmale gefunden hat.
Laut Andreas Hesse sei der bisherige Misserfolg von Local Commerce auf eine Mischung aus mangelnder Auswahl und zu hohen Preisen zurückzuführen – eben genau die Bereiche, in denen ein Aufbegehren gegen die Marktführer im Online-Handel nahezu unmöglich ist.
Local Commerce in Bamberg
Auch in unserer Stadt ist seit Kurzem ein Local Commerce Marktplatz entstanden, der die These von Andreas Hesse eigentlich unterstreicht. Klickt man beispielsweise auf die Kategorie „Lebensmittel und alkoholfreie Getränke“ werden lediglich drei Artikel angezeigt. Kategorien wie Bücher sind noch gänzlich leer und das Angebot in Kleidung und Accessoires ist bisher sehr überschaubar. Bisher!
Gerrit Heinemann, der schon seit Jahren kritisiert, dass nur 25% aller Einzelhändler überhaupt einen Online-Shop besitzen und die These aufgestellt hat, dass manche Händler scheinbar sterben wollen, bringt dies ebenfalls sehr gut auf den Punkt:
Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein
Die lokalen Marktplätze widersprechen in vielen Punkten dem, was die deutschen Verbraucher wollen: Die Auswahl ist kleiner, die Preise sind höher. Es gibt Begrenzungen an allen Ecken und Enden. Das wird nicht funktionieren.
heißt es bei ihm. Eine Einschätzung, der sich auch viele der Befragten aus oben genannter Studie von Andreas Hesse anschließen. Alleine schon die Tatsache, dass mehr als die Hälfte aller Händler eine Teilnahme an einem Local Commerce Marktplatz als „nicht empfehlenswert“ benannt hat, spricht hierbei Bände.
Wir haben Online Experten aus Bamberg zu ihrer Meinung befragt:
Gero Schmitt-Sausen: Die Relevanz eines Marktes hängt insbesondere von seinem Angebot ab. Hier besetzen viele lokale Märkte Nischen, wie beispielsweise auch der Job- und der Immobilienmarkt von inFranken.de. Beim Thema Consumer Goods dominieren ganz klar eBay und Amazon. Diese bieten (zwischenzeitlich) eine perfekte User Experience und ein umfassendes Produktangebot. Betrachtet man die Anfangsjahre wurde die heutige Dominanz allerdings mit Millionen Marketing Spendings erkauft. Der größte Nachteil von lokalen Marktplätzen bleibt die eingeschränkte Möglichkeit zur Skalierung.
Michael Ehlers: Professor Gerrit Heinemann gibt eine richtige Antwort auf ein Problem von vor zehn Jahren. Dank Beacon-Technologie und Schnittstellen-Strategie hat der regionale Marktplatz dem Online-Handel gegenüber keinen einzigen Nachteil mehr. Im Gegenteil. Der regionale Markt glänzt mit regionalen Produkten und kann über seine Online-Schnittstelle jeden anderen Bedarf auch lösen. Mit digitalen Payment-Lösungen und Blitzversand. Welchen Grund gibt es eigentlich zukünftig noch bei einem reinen Online-Markt zu kaufen?
Daniel Otzelberger: Meines Erachtens können regionale Onlinemarktplätze nur funktionieren wenn sie auch gelebt werden. Das heißt es müssten der Großteil des stationären Handels dabei sein und seine Produkte zeigen, damit der Marktplatz lebt und auch stationär auf die Plattform hinweisen um zu zeigen, dass der Kunde frei bei der Wahl des Kauf`s Online/ Offline wäre. Und hier sehe ich das Problem, da viele Händler den Aufwand nicht betreiben werden und dem Marktplatz schlussendlich die Bekanntheit fehlt. Stattdessen würde ich als Einzelhändler eine eigene Präsenz aufbauen und ein gezieltes Einkaufserlebnis schaffen, damit Online/ Offline im Einklang miteinander stehen und sich gegenseitig befruchten können.
Ludwig Märthesheimer: Als Gründer von Baloca.de (neuer Bamberger Online-Marktplatz) kann ich mich der These von Prof. Dr. Gerrit Heinemann nur bedingt anschließen. Sicherlich kann sich keine der momentan lokal existierenden Plattformen mit Online-Handelsriesen wie amazon, Zalando etc. vergleichen, weder bezüglich des Angebotsumfangs noch des möglichen Preisangebotes. Aber das ist ja auch gar nicht gewollt. Die lokal agierenden Online-Handelsplattformen stellen vielmehr ein Bindeglied zwischen dem realen Einkaufserlebnis im Laden und dem Wunsch des Verbrauchers nach einer 24/7 Verfügbarkeit bestimmter Handelswaren dar. Zumindest im Fall von Baloca ist das System so angelegt, dass es als genau solch eine Ergänzung des stationären Handels gesehen und im Idealfall auch genutzt werden soll. Deshalb versuchen wir mit Anreizsystem den Online-Kunden zu einer Abholung seiner Bestellung vor Ort im Laden zu animieren. Das hat mehrere, unserer Meinung nach entscheidende Vorteile:
1. Der Kunde kann die Ware direkt vor Ort probieren und entscheiden ob sie ihm passt und/oder ob sie ihm gefällt.
2. Im Falle eines „nicht Gefallens“ ist direkt „Ersatzware“ vorhanden, das heißt der Kunde kann möglicherweise doch noch ein erfolgreiches Einkaufserlebnis gestalten.
3. So es doch nicht zu einem Einkauf kommt, werden sowohl Händler als auch Kunden wesentlich weniger mit Retourentätigkeiten und -kosten belastet.
4. Und von dieser geringeren Retourenquote profitiert nicht zuletzt die Umwelt, müssen die Waren letztlich immer irgendwie von A nach B gebracht werden.
Konkurrieren wollen lokale Online-Handelsplattformen sicherlich nicht mit den bekannten Marktriesen, aber sie haben definitiv eine sinnvolle Existenzberechtigung.
Chris Dippold: Lokale Online-Marktplätze sind in der Theorie spannend und interessant für den Einzelhandel - jedoch oftmals in der Praxis nicht wirklich realistisch und marktreif. Es wäre naiv zu glauben, dass die Präsenz auf einem Online-Marktplatz die Probleme des Einzelhandels beseitigen würde. Vielmehr sollten sich Einzelhändler die Frage stellen, wie Sie ihren Service verbessern können und eine eigene digitale Strategie erarbeiten - um neue Kunden in den Laden zu locken. Auch sollten sich Einzelhändler Gedanken machen, ob das Geschäftsmodell in dieser Form auch in 10 Jahren noch zukunftsfähig ist - und wie die Digitalisierung genutzt werden kann - um als Gewinner, nicht als Verlierer dazustehen.
Jonas Lindner: Der lokale Handel muss endlich damit aufhören, die Schuld für Umsatzrückgänge beim Online-Handel zu suchen. Diesen Kampf werden die meisten stationären Händler ohnehin verlieren, weil sie die Digitalisierung verschlafen haben. Lokale Online-Marktplätze werden sich aus meiner Sicht nicht durchsetzen, da den Plattformen die Bekanntheit fehlt, sie nur über eine sehr begrenzte Auswahl verfügen und meist kein wirklicher Mehrwert für den Kunden ersichtlich ist. Zudem steht der technische und organisatorische Aufwand für die Pflege des Produktsortiments in keinem Verhältnis zu den möglichen Mehrumsätzen für die Händler. Mit einer Investition in ein echtes Einkaufserlebnis vor Ort, herausragenden Kundenservice und den Aufbau einer professionellen Onlinemarketing-Strategie wären lokale Händler oft besser beraten.
Martin Wilbers: Ein lokaler Online-Marktplatz macht nur dann Sinn, wenn er denselben Service anbietet wie die nationale Konkurrenz. Dabei denke ich nicht nur an die Versandbedingungen, sondern einen exzellenten Kundenservice, zum Beispiel in Sachen Umtausch oder Rückgabe von Waren. Unternehmen wie Amazon bieten diesen Service an und die Menschen haben sich daran gewöhnt. Wenn der lokale Einzelhandel, gleich ob online oder offline, dieses Serviceempfinden nicht aufnimmt und ebenfalls anbietet, hilft auch keine eigene Internetplattform.
Ruth Vollmar: Der stationäre Einzelhandel sucht immer noch nach den passenden Antworten auf die Konkurrenz aus dem Netz. Doch es gibt kein Patentrezept, das für alle passt. Insbesondere die kleinen Fachgeschäfte verfügen in der Regel nicht über die finanziellen Ressourcen, ihre Waren professionell Online zu vertreiben. Hier kann ein lokaler Onlinemarktplatz unterstützen – vorausgesetzt er wird gut gemanagt, wie z. B. unkomplizierte Handhabung für Händler und Kunden. Dann sollte es auch gelingen, eine ausreichende Zahl an Einzelhandelsunternehmen zu begeistern und den virtuellen Marktplatz auf stabile Füße zu stellen.
Was Local Commerce braucht, um zu funktionieren
Eine interessante These, wie Local Commerce zukünftig funktionieren könnte, kommt ebenfalls von Gerrit Heinemann. Und zwar ist er der Meinung, dass es ohne eine Zusammenarbeit mit den Marktführern im Online-Handel wie Amazon oder Ebay nicht gehen wird. Kräfte bündeln sei hier dementsprechend angezeigt.
Im Rahmen eines Pilotprojektes aus Mönchengladbach, dass Heinemann selbst mit der Stadt initiiert hat, zeigte sich bereits, dass dieser Ansatz tatsächlich zukunftsträchtig sein könnte. Hier erwirtschafteten die teilnehmenden Händler mit eBay als Partner einen Umsatz von 3,2 Millionen Euro, lieferten dabei allerdings in insgesamt 84 Länder. Dennoch waren Aspekte wie die Möglichkeit der Abholung in Verbindung mit funktionierenden Warenwirtschaftssystemen und dem breiten Angebot der Website wichtige Erfolgsfaktoren.
Dr. Ulrich Schückhaus, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Mönchengladbach GmbH:
Mit ‚MG bei eBay’ haben wir dem hiesigen lokalen Einzelhandel ein sehr einfaches und wirkungsvolles Instrument zur Hand gegeben, um auf die Herausforderungen des Internet-Handels und das veränderte Kaufverhalten zu reagieren. Die Ergebnisse zeigen, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels in unserer Stadt durch einfache Omnichannel-Maßnahmen stärken lässt.
Fazit: In welche Richtung sich der Local Commerce zukünftig orientieren wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass die Wasserstandsmeldung, die wir Dir hier gezeigt haben, in jede Richtung führen kann. Tatsächlich scheinen die Konzepte derzeit lediglich viel Lärm um nichts zu sein, weil sie noch keine konkrete Struktur besitzen – obschon es durchaus Experten gibt, die diesem Zweig eine sehr rosige Zukunft vorhersagen. So ist sich beispielsweise das Institut für Handelsforschung in Köln (IFH) sicher, dass es nur eine Frage der Verbreitung sei.
Aus einer weiteren Studie gehe nämlich hervor, dass 95% aller befragten Kunden solche Online-Marktplätze wichtig dafür finden, um Informationen zur Waren-Verfügbarkeit im stationären Geschäft erhalten zu können.
Und damit diese Verbreitung ermöglicht werden könne, sei es nach Geschäftsführer Kai Hudetz notwendig, in puncto Service noch nachzulegen, sodass beispielsweise auch Frisörtermine vereinbart oder Behördengänge erledigt werden könnten in den lokalen Marktplätzen. Ich bin der Meinung es ist mit und ohne lokale Marktplätze in diesem Zusammenhang für den einzelnen Händler essentiell eine professionelle, verkaufsfördernde, mobil-optimierte Business Website zu unterhalten, die die Grundlage der Lokalen Suchmaschinenoptmierung beherzigt. Weiterhin sollte der Unternehmer über ein perfekt gepflegtes Google My Business Profil verfügen.
Wie siehst Du die Entwicklung von Local Commerce? Glaubst Du, das Thema wird sich in den nächsten Jahren schleichend wieder erledigen, bzw. im Nichts verpuffen? Oder glaubst Du, hier liegen noch einige ungenutzte Potenziale für den Einzelhandel begraben? Teile es uns doch in den Kommentaren mit!
Ansonsten freuen wir uns, wenn wir Dich auch nächstes Mal wieder in unserem Blog als Leser begrüßen dürfen!
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